«Fokus Bern. Unternehmen für Bern» (Interview)

Erschienen als „Samstagsinterview“ in „Der Bund“, 16. Juni 2012, Seiten 2/3.
Interview von Rudolf Burger, Der Bund, mit Peter Stämpfli

Rudolf Burger: In den Unterlagen zu «Fokus Bern» heisst es, Bern sei «ein Kanton mit Unternehmergeist». Wie kommen Sie zu diesem Befund?

Peter Stämpfli: Bern ist immerhin der grösste Industrie- und Maschinenbaustandort der Schweiz. Beim Swiss Economic Forum, das letzte Woche durchgeführt wurde, stammten zwei von drei ausgezeichneten Jungunternehmern aus dem Kanton Bern.

Ist der Kanton Bern wirklich der grösste Industriestandort? Nicht etwa Baden im Aargau mit ABB und vielen anderen Unternehmen?

Gemäss Informationen des Kantons Bern gibt es keinen anderen Kanton mit so vielen Arbeitsplätzen in der Industrie.

Das Image Kantons ist ein anderes: Bern gilt als schwerfälliger Kanton mit vielen Beamten.

Wir sind ein Beamtenkanton, wir haben die Verwaltungen von Bund, Kanton und Stadt. Daran kann ich nichts Schlechtes finden. Aber im Kanton Bern gibt es wesentlich mehr.

In einem Standort mit so vielen Verwaltungen fehlt es an Dynamik.

Falsch! Ich empfinde Verwaltungen nicht als undynamisch. Zudem gibt es im Kanton Bern wie gesagt die Industrie, die Dienstleistungen, den Tourismus. Überall sehe ich viel Dynamik.

Auch in der Landwirtschaft? Bern ist der grösste Landwirtschaftskanton.

Es gibt einige Landwirte, die sich als Unternehmer verstehen. Das Unternehmen Jumi, das Käse- und Fleischspezialitäten produziert und beim Swiss Economic Forum ausgezeichnet wurde, hat ein Bauer gegründet.

Eine starke Landwirtschaft gilt oft eher als Klotz am Bein.

Das ist der falsche Blickwinkel. Die Vielfalt im Kanton Bern zeichnet uns aus, ist ein Reichtum, den wir als Chance und nicht als Nachteil nutzen können.

Seit Anfang Jahr gibt es die Organisation «Fokus Bern». Was will sie?

Das Image des Kantons verbessern, in der Innen- wie der Aussensicht. Der Kanton hat viel mehr zu bieten und ist positiver, als er dargestellt wird. Wir wollen zeigen, dass viele Unternehmen hinter diesem Wirtschaftsstandort stehen, und zwar nicht nur, weil sie zufällig hier sind, sondern weil sie an ihn glauben.

Einige Unternehmen haben in jüngster Zeit diesen Standort Bern aber auch verlassen. 

Einige sind auch gekommen, und vor allem sind sehr viele geblieben. Das Reiseunternehmen Globetrotter etwa hätte auch nach Zug ziehen können, kommt aber mit all seinen Firmen nach Bern. Dass Novartis und andere den Kanton verlassen, musste im Rahmen der Konzernstrategien erwartet werden.

«Kräfte und Potenziale bündeln», liest man in Ihren Unterlagen – tönt gut, aber was geschieht da konkret?

Andere Standorte leben von einem bestimmten Wirtschaftszweig, etwa den Finanzen oder der Chemie. Der Kanton Bern lebt von der Vielfalt. Kräfte bündeln heisst diese Vielfalt sichtbar machen, sie als Chance nutzen. Wenn man die Vielfalt zu einem gemeinsamen Auftritt bündeln kann, gibt es neue Chancen.

Von der Finma, der Finanzmarktaufsicht, wird gerade diese Woche gemeldet, dass sie sich einen Umzug von Bern nach Zürich überlege.

Offenbar geht es bei der FINMA eher um den Wunsch ihres Chefs, nach Zürich umziehen . Die politischen Weichen sind anders gestellt. Die natürliche Distanz zum Finanzplatz Zürich ist für die neutrale FINMA ein Vorteil.

SBB Cargo macht viele Bahnhöfe zu. Bern wird am härtesten getroffen, 32 von 82 Standorten, die aufgegeben werden, sind im Kanton Bern. Das spricht auch nicht für eine besondere wirtschaftliche Dynamik. 

Herr Burger, Sie wiedergeben die übliche Darstellung. Bern hat viele verschiedene Gebiete. Die Region um die Stadt ist im schweizweiten Vergleich der drittstärkste Wirtschaftsstandort. Im eidgenössischen Finanzausgleich wäre diese Region ein Nettozahler. Aber wir haben auch das Oberland, fünfmal so gross wie Uri, das Emmental, das Gantrischgebiet. Sie alle sind strukturschwächer, haben aber andere grosse Vorteile. Über alles gesehen hat Bern aber wirtschaftliche Nachteile gegenüber anderen Kantonen.

Das ist die übliche Erklärung zur Begründung, wieso der Kanton eine Milliarde aus dem eidgenössischen Finanzausgleich bezieht. 

Wenn wir den Steuerwettbewerb unter den Kantonen wollen, ist der Finanzausgleich das Pendant dazu. Irgendwo befinden sich die strukturschwächeren Gebiete, Bern hat davon prozentual mehr als andere Kantone.

Bei der Einkommenssteuer liegt der Kanton Bern auf Rang 20. «Fokus Bern» will das offenbar verbessern.

Die Einkommenssteuern sind der grosse Nachteil dieses Kantons. Das wollen wir verbessern, aber nicht einfach mit einer blinden Steuersenkungsforderung. Unser Grundsatz ist: Dort, wo Steuersenkungen machbar sind, müssen sie kompensiert werden.

Sie nennen das «budgetneutral». Dem Staat sollen also keine Einnahmen entgehen?

Mittel- und langfristig gesehen nicht. Eine Steuersenkung muss dazu führen, dass sich mehr Firmen und Personen im Kanton Bern ansiedeln. Für Kosteneinsparungen gibt es Raum, aber nicht so viel, dass wir beim Steuervergleich in der Schweiz plötzlich vorne dabei wären. Man kann nicht blind Steuersenkungen fordern ohne zu sagen, wo und wie das gemacht werden kann.

Werden Sie sich bei der Motorfahrzeugsteuer also für die Version entscheiden, die dem Kanton weniger Einnahmen entzieht?

Ja. Ich halte den Volksvorschlag für falsch. Es gäbe massive Steuerausfälle, die aber niemand merken würde. Nur wegen der stark reduzierten Motorfahrzeugsteuer käme kein Unternehmen, keine Person zusätzlich in den Kanton Bern.

Es gibt aber immer wieder Unternehmen, die darüber klagen, wegen der Steuersituation sei es schwierig, gute Leute zu rekrutieren. 

Diese Sorge teilen wir. Sie Höhe der Steuern sind ein grosser Hinderungsgrund, nach Bern zu ziehen und tragen zum schlechten Image bei. Ich habe mit jemandem geredet, der von St. Gallen nach Bern kam und nach dem Steuerbescheid mehr als nur leer schluckte. Viele Unternehmer sagen mir aber auch, die Steuern nähmen sie in Kauf, stören sich aber am Image Bern. Wer aber länger hier lebt, will nicht mehr weg. Diese Diskrepanz möchten wir auflösen.

Sie wollen ein «innovatives Steuersystem». Wie sähe das aus? 

Wir wollen die Unternehmenssteuern senken und so neue Firmen und damit auch Einwohner anziehen.

Bei den Unternehmenssteuern steht der Kanton vergleichsweise gut da. 

Er könnte aber noch besser werden, ohne dass die Steuerausfälle für den Kanton dramatisch wären. Unternehmenssteuern machen im Budget des Kantons nur zehn Prozent aus.

Redet da Unternehmer Stämpfli auch aus Eigeninteresse?

Nein. Unsere Unternehmung ist kein sehr guter Steuerzahler. Wir arbeiten in einer investitionsintensiven Branche.

Der bernische Handels und Industrieverein HIV klagt über die steigende Staatsquote im Kanton Bern: 2006 lag sie bei 18,3 Prozent, 2011 bei 20,1 Prozent. Das ist eine happige Steigerung. Stört Sie das nicht? 

Doch, die Staatsquote darf nicht mehr steigen. Sie ist aber auch gestiegen, weil der Kanton von den Gemeinden mehr Aufgaben übernommen hat.

Es gehört auch zum Standardrepertoir bürgerlicher Parteien, weniger Staatausgaben und Steuersenkungen verlangen. In diesen Chor stimmen Sie offenbar nicht ein.

Ich sehe das differenzierter. Wir glauben auch, dass es bei den Staatsausgaben Spielräume gibt. Nur: Der Kanton hat hartnäckige Strukturprobleme, aber auch ein paar hausgemachte, die nicht mit simplen Forderungen zu lösen sind.

Bernische Unternehmer kritisieren häufig auch die rot-grünen Regierung in Stadt und Kanton. Sie nicht?

Ich nicht. Natürlich gibt es ideologische Differenzen, Entscheide, die ich anders fällen würde, aber wenn ich über den Einsatz der rot-grünen Regierungen in Stadt und Kanton für die Wirtschaft urteile, sind diese Regierungen sicher nicht schlechter als es die bürgerlichen waren, vielleicht auch nicht in allen Punkten besser. Unser Unternehmen erhält die Unterstützung, die  es braucht auch von rot-grünen Regierungen.

Gerade die Verkehrspolitik in der Stadt Bern, die Pollern-Politik, wird aber von Gewerbe häufig beklagt. 

Das ist für das Gewerbe eine Schwierigkeit. Das hätte eine bürgerliche Regierung anders gelöst. In der Gesamtwirkung ist die Dynamik bei der rot-grünen Regierung Stadtregierung aber grösser, als ich sei bei der bürgerlichen erlebt habe.

Sie sind aus der FDP ausgetreten. Wurden Sie als Unternehmer zu wenig unterstützt? 

Nein. Ich bin aus anderen Gründen aus der FDP ausgetreten. Doch die FDP steht mir nach wie vor von allen Parteien am nächsten, aber ich geniesse meine Unabhängigkeit als freisinnig denkender Unternehmer.

Es gibt bei «Fokus Bern» noch ein weiteres Projekt im Sozialwesen. Was sollte da getan werden?

Ein Stichwort dazu sind etwa minderjährige und junge Mütter. Da muss dafür gesorgt werden, dass sie eine Grundausbildung machen können. Das wollen wir in einem Projekt prüfen, zusammen mit dem Kanton. Überhaupt gilt für «Fokus Bern», dass wir kein elitärer Unternehmerklub sind. Wir suchen die Zusammenarbeit mit allen, besonders auch mit der Regierung.

Mit Regierungsrat Rickenbacher?

Ja, er ist in unser Projekt involviert. Regierungssprecher Christian Kräuchi ist Beisitzer in unserer Steuergruppe. Wir suchen zudem enge Kontakte zu den Wirtschaftsverbänden und weiteren Gruppierungen.

Eine Initiative wie «Fokus Bern» hätte man eigentlich eher aus dem HIV erwartet. 

Das wäre sicher auch möglich gewesen. Wir haben einen guten Kontakt zum neuen Präsidenten, Bernhard Ludwig, der uns Unterstützung zugesagt hat. Wir sind zur Zeit über 40 Unternehmer, die handeln, nicht länger zuwarten wollen.

Konkurrenz gibt es nicht?

Nein.

Sie wollen auch das Projekt «Hauptstadtregion» unterstützen, das noch weitgehend auf dem Papier steht. Diese Region soll von La-Chaux-de-Fonds bis Brig reichen. Wird da der Bogen nicht gar weit gespannt?

Die Gefahr besteht, dass es in diesem Riesenraum zu viele Projekte gibt, die nicht richtig vorankommen. Ich halte das Projekt jedoch für mehr als nur eine Idee. Die Hauptstadt macht uns einzigartig.

Wieso soll eine Firma kommen, nur weil Bern die Bundesstadt ist?

Für ein Industrieunternehmen ist dieser Aspekt tatsächlich weniger wichtig, aber es gibt doch viele Wirtschaftszweige, die von der Hauptstadt leben, etwa Verbände. Verbände sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, haben ziemlich viele Arbeitsplätze, generieren Kongresse und Übernachtungen im ganzen Kanton . . .

. . . Verbände haben doch relativ wenige Arbeitsplätze.

Immerhin bauen die Automobilverbände momentan ein grosses Zentrum im Osten Berns. Das zeigt doch, dass man nahe bei den Behörden und der Politik sein will. Vergessen Sie die zentrale Lage nicht.

Was aber was fehlt, ist ein internationaler Flughafen. 

Ich selber fliege praktisch jeden Monat nach Warschau, weil wir dort eine kleine Unternehmung besitzen. Ich fliege von Zürich aus, je nachdem, wo ich in Zürich wohne, hätte ich vielleicht etwa gleich lang bis zum Flughafen. Zudem bietet Bern-Belp interessante Connect-Flüge. Wir aber kaum der ideale Standort für internationale Grosskonzerne.

Weshalb nicht?

Da haben Zürich, Genf und Basel wegen der Flughäfen schlichtweg mehr zu bieten. Bern setzt dem seine konzentrierte Dichte an KMU entgegen. Das hat den Vorteil, dass wir in Zeiten der Rezession weniger absinken, in guten Zeiten allerdings auch weniger steigen. Es ist eindrücklich, wie viele Berner Firmen international Spitze sind, ohne Weltkonzerne zu sein.

Gemäss «Fokus Bern» soll Bern auch ein Gesundheitszentrum werden.

Das ist Bern schon, unser Gesundheitszentrum ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Das kann man plakativ am Herzzentrum Bern darstellen. Das muss in Bern bleiben. Es geht dabei nicht nur um die Herzchirurgen, sondern um grosse Teams, die wir hier behalten wollen.

Bern muss Zürich ausstechen, mit anderen Worten.

Ja. Beim Herzzentrum spricht alles dafür, dass Bern das Zentrum bleibt. Bern hat mehr vorzuweisen als Zürich, dabei geht es um Wesentlicheres als Eitelkeiten, es geht um Arbeitsplätze und um sehr viel Geld.

Ist Fokus Bern auch aus der Überlegung heraus entstanden, dass Sie es als Berner leid sind, immer nur Negatives über Bern zu hören?

Ja. Das ist eine gute Zusammenfassung meiner emotionalen Seite. Mit meinem Bruder zusammen führe ich seit 1988 unsere Unternehmung. Wir haben viel erreicht, auch dank der Unterstützung dieses Kantons, dank toller Mitarbeitenden, guter Infrastruktur und der zentralen Lage. Es gibt hier sehr viele positive und wichtige Standortfaktoren. Immer wieder erklären zu müssen, dass Bern besser sei als sein Ruf, hat etwas Bemühendes. Wir wollten nicht länger schweigen, wir möchten den Kanton Bern positiv darstellen, wie man das in einer Unternehmung auch versucht.

Wird Bern in den Medien schlecht gemacht?

Wenn ich an die Schlagzeile denke, Bern sei das Griechenland der Schweiz, dann ja. Bei anderen Medien sehe ich eher Unsorgfalt als Schlechtmachen. Man schreibt einander ab, bringt immer wieder die gleichen Argumente, ohne genau hinzuschauen. Mir fehlt eine gewisse Fairness.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Die Geschichte mit dem Finanzausgleich. Man schreibt, Bern erhalte eine Milliarde, aber wenn man das auf die Bevölkerungszahl umrechnet, sind wir irgendwo im Schweizer Mittelfeld und nicht an der Spitze der Bezüger.

Der Nachbarkanton Waadt, der auch eine sehr ländliche Struktur hat, zahlt in den Finanzausgleich ein.  

Die Waadt ist kleiner, hat eine weniger heterogene Struktur. Einfach gesagt: Wenn wir mit unseren Einkommenssteuern ins Mittelfeld der Kantone kommen möchten, gäbe das für den Kanton Steuerausfälle von 800 Millionen. Um noch weiter nach vorne zu kommen, müssten wir deutlich über eine Milliarde einsparen. Da kommt man bei allen Sparmöglichkeiten an eine Grenze.

Der Kanton Bern neigt zu Luxuslösungen, die er einfach nicht vermag. Etwa bei den Spitälern. 

Es gibt zu teure Lösungen. Beim Problem der Spitäler hat Bern aber in den letzten 10 Jahren schon einiges bewegt. Ein anderes Problem sehe ich darin, dass sich die Regionen gegenseitig blockieren. Jede Region will etwas für sich, keine will zu kurz kommen, statt die Gesamtsicht zu bewahren. Gemeinsame Ziele und mehr Zusammenarbeit sind gefordert.

Es hat schon andere Initiativen wie «Fokus Bern» gegeben. Der «Espace Mittelland» ist passeé. Existiert «Fokus Bern» in fünf Jahren noch?

«Espace Mittelland» war völlig anderes aufgebaut. Doch auch für den Erfolg von «Fokus Bern» geben wir keine Garantie. Wir legen dieses Projekt nun auf drei Jahre aus. Dann schauen wir weiter.

Es ist also denkbar, dass Sie «Fokus Bern» in drei Jahren auflösen.

Vielleicht. Gerade als Unternehmer nehme ich das abergelassen. Unternehmer sein heisst etwas wagen, an die Möglichkeiten glauben, zu handeln. Ich bin überzeugt, dass wir etwas bewegen.

Über pstaempfli

Unternehmer mit besonderem Interesse für Unternehmenskultur und Unternehmens- und Verbandskommunikation. Mitinhaber von Stämpfli Gruppe Bern: Auch bei Fokus Bern zu finden:
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Eine Antwort zu «Fokus Bern. Unternehmen für Bern» (Interview)

  1. cherisse01 schreibt:

    Good interview. Thank you.

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