Bern: Stadt-Land-Graben als Hauptproblem

Interview von Bernhard Ott mit Peter Stämpfli, erschienen in Der Bund (www.derbund.ch), 10.12.2012, Seite 19

Bernhard Ott Der Kanton Bern erhält nächstes Jahr 1,2 Milliarden Franken aus dem nationalen Finanzausgleich. Ist er derart schwach oder sind Zug und Obwalden derart stark?

Peter Stämpfli Weder noch. Zug und Obwalden können ihre Steuerpolitik nur betreiben, weil sie vom Rest der Schweiz profitieren: vom Bahnnetz, vom Flughafen Zürich und von der stabilen wirtschaftlichen und politischen Lage. Die gelobten Kantone Zürich und Waadt erhalten übrigens eine Milliarde Franken für die ETH, Geld, das indirekt in diese Kantone fliesst.

Was profitiert denn Zug von Bern?

Zum Beispiel von der Hauptstadt und dem grössten Maschinen- und Uhrenindustriestandort der Schweiz. Auch Zug braucht die Industrie.

Ein Zuger Politiker hat vorgeschlagen, dem Kanton Bern weniger Geld aus dem Finanzausgleich zukommen zu lassen, solange Berner Staatsangestellte mit 63 pensioniert werden.

Das ist Polit-Rhetorik. Es ist aber richtig, wenn der Kanton Bern seine Leistungen und Ausgaben überprüft, wie dies der Regierungsrat beabsichtigt – namentlich in der Verwaltung.

Der Zuger Finanzdirektor hat gesagt, es brauche politische Entscheide für schlankere Strukturen im Kanton Bern.

Stimmt. Aber es gibt Strukturen, die wir nicht ändern können. Das Oberland ist flächenmässig fünfmal so gross wie der Kanton Uri. Und das Emmental und der Jura sind Landwirtschaftsregionen und Naherholungsgebiete von überregionaler Bedeutung, die man nicht einfach «wegstrukturieren» kann.

Inwiefern braucht Bern neue Strukturen?

Es braucht mehr Zusammenarbeit und mehr Gemeindefusionen, vor allem in der Region Bern. Ich kritisiere den mangelnden Zusammenarbeitswillen zwischen den Regionen und Gemeinden und das Fehlen von gemeinsamen Zielen. Die Dominanz der ländlichen Gemeinden im Grossen Rat blockiert und schwächt die Agglomeration Bern, den wirtschaftlichen Motor des Kantons.

Die Budgetdebatte im Grossen Rat brachte letzte Woche schmerzliche Eingriffe.

Man stritt über Details. Die Debatte hat gezeigt, dass eine Finanzstrategie fehlt.

Ein SVP-Grossrat will einfach das beste für seine Region rausholen. Der braucht keine Strategie.

Kürzungen beim Schulbusangebot gegen Kürzungen bei der Kultur auszuspielen, ist willkürlich und führt uns nicht weiter. Was fehlt, ist ein gemeinsames Verständnis dafür, was wir im Kanton Bern bis wann erreichen wollen. Dem sagt man Strategie.

Alt-Regierungsrat Ueli Augsburger (SVP) sagte im «Bund»-Interview, die SVP habe den Wandel verhindert, weil ihre Macht auf den überkommenen Strukturen beruht.

Es ist zu banal, die Schuld auf die SVP abzuschieben.

Die Budgetdebatte hat gezeigt, dass der Graben zwischen Stadt und Land immer grösser wird.

Das ist das Hauptproblem Berns. Der Abbau von Vorurteilen ist dringend: Sowenig, wie die Landbevölkerung eine rückständige Subventionsempfängerin ist, ist die Stadtbevölkerung arrogant und im Luxus lebend.

Dem steht aber die Politgeografie entgegen: Das SVP-Land fühlt sich durch die rot-grüne Stadt oft provoziert. 

Man kann das überwinden, wenn man will, indem man sich auf die gemeinsamen Stärken besinnt. Die Agglomeration Bern ist der wirtschaftliche Motor des Kantons. Wenn es der Agglomeration Bern schlecht geht, leiden alle Regionen. Die Stadtbevölkerung wiederum sollte bedenken, dass sie die Land- und Berggebiete als Lebens- und Wirtschaftsraum braucht.

Grossrätin Bethli Küng (SVP) meint aber, das Berner Oberland könne alleine kutschieren.

Frau Küng sagte, das Saanenland liefere Geld ins Unterland. Das ist Unsinn. Der grösste Zahler im interkantonalen Ausgleich ist der Bezirk Bern. Das Geld aus Saanen landet nicht hier, sondern in den anderen Randgebieten.

Dann muss man aber auch den ÖV erhalten in diese Gebiete.

Ja, wenn auch nicht bis ins hinterste Tal hinein.

Kann die Wirtschaft alleine mit Initiativen wie «Fokus Bern» den Blick fürs Ganze schärfen?

Nein, die Impulse müssen auch aus anderen Kreisen kommen. Die Unternehmerinnen und Unternehmer können nur versuchen, Verbesserungen aus ihrer Sicht vorzuschlagen. Ich glaube zudem daran, dass die Hauptstadtregion Bern zum Erfolg wird.

Vor drei Jahren verknüpften Sie damit grosse Hoffnungen. Vor einem Jahr appellierten Sie, dass es Köpfe brauche, die das Konstrukt Hauptstadtregion belebten. 

Das gilt leider immer noch. Es fehlen Menschen, die bereit sind, sich öffentlich zu engagieren und ihre Wohlfühloase zu verlassen.

Sie sagten, die Agglomeration Bern müsse gestärkt werden. Kann eine Hauptstadtregion von La-Chaux-de-Fonds bis Brig dazu beitragen?

Gewiss. Bern als Kern der Hauptstadtregion steht in vielfältiger Abhängigkeit. So ist das Oberwallis von der Stadt Bern gleich weit entfernt wie der Berner Jura und dadurch Teil der Hauptstadtregion.

Müssten nicht eher Gemeindefusionen im Raum Bern angestrebt werden? Es klappt ja nicht einmal bei der Kooperation: Die Stadt Bern hat den Standortentscheid für eine 50-Meter-Schwimmhalle mutterseelenalleine gefällt.

Das Vorgehen der Stadt ist mir unverständlich. Diese Schwimmhalle ist wichtig für die ganze Region und müsste gemeinsam realisiert werden. Wären die zwölf Vorortsgemeinden und die Stadt fusioniert, wäre dies geschehen.

In Lugano war Stadtpräsident Giorgio Giudici eine Integrationsfigur, die Gemeinden zur Fusion bewegen konnte. Warum gelingt dies Alexander Tschäppät nicht?

Das weiss ich nicht. Das Kernproblem liegt aber anderswo: Im Bauernkanton Bern schaut jeder primär zu seinem «Hof». Man arbeitet nur zusammen, wenn man unbedingt muss und dann in Einzelprojekten. Das blockiert die nachhaltige Entwicklung, gerade in der Raumplanung.

Fokus Bern will Unternehmenssteuern senken, um Firmen anzulocken. Sind das nicht Rezepte aus den achtziger Jahren?

Einseitig angewendet sind sie veraltet. Wir von Fokus Bern kommen zum Schluss, dass es zuerst die erwähnte Finanzstrategie braucht. Das Problem sind übrigens nicht die Unternehmenssteuern, sondern die zu hohen Einkommenssteuern. Wir haben Mühe, Leute mit einem Einkommen über 120 00 Franken in den Kanton Bern zu locken.

Diese Strategie beisst sich in den Schwanz: mit Steuersenkungen und attraktiver Infrastruktur will man Firmen und Menschen anlocken, die den Ausbau der Infrastruktur erst finanzieren sollen.

Nein. Wenn schrittweise vorgegangen wird, können Steuersenkungen mittelfristig dazu beitragen, die Einnahmen zu steigern. Das erreichen wir aber nicht mit Hau-Ruck-Übungen, wie sie zurzeit politisch gefordert werden.

Nochmals: Wo ist die Brücke zur Politik? Politiker vertreten doch einfach die Interessen ihre Wähler aus Frutigen oder Ostermundigen.

Fokus Bern kann nur Vorschläge machen, auf Zusammenhänge hinweisen und Politiker ermutigen, gemeinsam für den Kanton einzustehen.

Was ist Ihr Ziel? Soll Bern ins steuerliche Mittelfeld vorrücken?

So wichtig die Steuern sind: Mein Ziel ist ein weiter reichendes. Bern muss seine Rolle als Hauptstadt als Chance nutzen. Der Kanton als Ganzes muss Vorbild dafür sein, dass mit einer diversifizierten Wirtschaft, zu der ich auch eine moderne Landwirtschaft zähle, eine grössere Lebensqualität erreicht werden kann als mit Monopolbranchen wie der Chemie in Basel oder den Banken in Zürich.

Muss man dafür Täler aufgeben, wie dies Rudolf Strahm fordert?

Nein, aber wir können es uns nicht leisten, jedes Tal gleich zu behandeln. Die Frage steht im Raum: Wie können wir Randregionen festigen, ohne die Agglomerationen zu schwächen?

Wie sieht der Kanton Bern in dreissig Jahren idealerweise aus?

Der Kanton als Zentrum der Hauptstadtregion Schweiz ist stolz auf seine Hauptstadt. Dank der Universität und der Fachhochschulen in Biel und Bern ist er einer der beiden bedeutendsten Ausbildungsstandorte der Schweiz. Es wird eine starke Wirtschaftsagglomeration Biel-Bern-Thun geben mit einem Zweig im Oberaargau. Dank seiner wirtschaftlichen, kulturellen, sozialen und ökologischen Vielfalt gilt der Kanton Bern über die Schweizer Grenzen hinaus als einzigartig lebenswert – gerade auch wegen der Wechselwirkung von Agglomerationen mit Land- und Berggebieten.

 

 

Über pstaempfli

Unternehmer mit besonderem Interesse für Unternehmenskultur und Unternehmens- und Verbandskommunikation. Mitinhaber von Stämpfli Gruppe Bern: Auch bei Fokus Bern zu finden:
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