Selbstzufriedenheit prägt die Berner Politik, gestützt durch die Bürgerinnen und Bürger in allen Kantonsteilen. Alle wollen etwas, doch zu wenige sind bereit, langfristig zu denken und handeln. Damit droht das Mittelmass.
Sehe ich vom Gurten ins Land, fühle ich mich als Berner. Doch wenn ich vom Niesen in die Weite schaue, weit hinab ins Mittelland, wo sich die Sicht langsam auflöst und alles in alles übergeht, sehe ich keine Grenzen, fühle ich mich als ein mit der Welt verbundener Schweizer. Und Ärger überkommt mich.
Wir schauen unsere Grenzen als gegeben an, doch die Dinge wandeln sich und die feinen, nur auf Karten sichtbaren Linien sind relativ. Wir wissen, dass wir alleine nicht existieren können; ein schierer Zufall, dass der Lauf der Geschichte die Bündnisse und die Schweiz nicht aufgelöst hat. Doch wir leben so, als hätte die heutige politische Situation ewig Bestand, obwohl schon nur im Inland das Gleichgewicht von kantonaler Eigenständigkeit und gegenseitiger Hilfe, das sich über Jahrzehnte bewährt hat, zu wanken beginnt und die Kantonsgrenzen keinen Schutz vor Unbill bieten. Der Kanton Bern kann sich dem nicht entziehen, was in der Bevölkerung jedoch zu keinen wirksamen Schlussfolgerungen führt. Mit Klagen über die täglichen und grundsätzlichen Unzulänglichkeiten schützt sich die grosse Mehrheit vor dem Handeln, das den Wandel als Chance sieht, bevor er zur Gefahr wird. Das ist satte Selbstzufriedenheit.
Der Kanton Bern hat Stärken, auf die er bauen kann: grösster Schweizer Industriestandort, herausragendes Bildungsangebot, Infrastruktur mit internationalem Rang, enormes Wissen in der Medizin, Landwirtschaft mit einem Kern von Unternehmerbauern, beste touristische Voraussetzungen und toprangierter Lebenswert. Jedoch: Mit den Stärken lassen sich die Probleme nicht auf die Seite schieben.
Wir zählen auf die Solidarität der Kantone. Dafür sorgen wir für wertschöpfungsarme Gebiete und leisten wir als Hauptstadtkanton für die Schweiz viel. Doch wir müssen uns davor hüten, die Geberkantone zu strapazieren. Mehr Zurückhaltung, besonders aber mehr Eigeninitiative und Zusammenarbeit täte uns gut.
Ein zunehmend prägendes Problem sind die Pendlerströme. Zu viele arbeiten in Bern und bezahlen in anderen Kantonen Steuern. Die Ursachen sind vielfältig und können nur mit einer grenzüberschreitenden Raumplanung und Steuerharmonisierung gelöst werden. Davon sind wir meilenweit entfernt. Vielmehr ist unser Denken kleinräumig und kleingeistig. Es befriedigt sich im Parteiengezänk des Grossen Rats, wo zu oft Teil- statt langfristigen Lösungen der Vorrang gegeben wird. Die Kleingeistigkeit zeigt sich auch in einer grotesken Anzahl Gemeinden. So in der Agglomeration Bern, wo sich zwölf Vororte um das Zentrum drängen und behaupten, sie seien selbstständig, obwohl krasse gegenseitige Abhängigkeiten das Gegenteil beweisen.
Ich ärgere mich über diese Selbstzufriedenheit, deren Tochter die Mittelmässigkeit ist. Es mangelt an Menschen, die die bernische Engstirnigkeit mit langfristig gültigen Zielen und parteiübergreifendem, die Regionen verbindendem Handeln aufbrechen die eine Zusammenarbeit suchen, die den Namen verdient.