Von schrägen Bildern

Der Begriff «Work-Life-Balance»ist missverständlich. Er trennt Arbeit und Leben, doch eine positiv herausfordernde Arbeit ist Bestandteil eines erfüllten Lebens; wer das nicht so recht glauben will, soll sich mit Arbeitslosen unterhalten. Allerdings ist Arbeit nicht alles.

Meine Mutter gab mir in der Schulzeit oft den Rat, ich solle an etwas denken, auf das ich mich heute freue. Ich solle dann aber zuerst das machen, was mir gleichbleibend zuwider war: die Hausaufgaben. Aus lauter Vorfreude führte das bisweilen zu einer hastigen Erledigung. Doch der Rat hat sich bewährt und bewährt sich noch immer. Worauf freuen Sie sich heute?

Es gibt in jedem Beruf Aufgaben, die man ungern macht, auf die Dauer ist etwas ungern tun jedoch ermüdend. Wir sollten einer Arbeit nachgehen, die insgesamt Sinn ergibt und Freude bereitet. Das ist bei mir der Fall. Meistens zumindest, denn es ist wie mit der Schoggimousse, die ich liebe. Zuviel des Guten verleidet, ein Stück Käse zwischendurch bringt Abwechslung; es kann auch Gemüse sein. Mit der Arbeit ist es dasselbe. Wir brauchen Pausen, Freizeit und Erholung. Musse und Distanz zum Geschehen zu finden, ist erfrischend. Es braucht Ausgleich: Das meinen wir mit Lebensbalance, auch wenn einige darunter ein zeitgeistiges esoterisches Gesäusel verstehen. Körperliches Wohlbefinden, ein tragendes soziales Netz, Sinn im Leben und eine positiv herausfordernde Arbeit müssen sich die Hand geben. Wer seine Balance nicht halten kann, dem verleidet das eine oder das andere grundsätzlich. Wenn wir immer wieder dasselbe tun, kapituliert die Freude. Zur Lebensbalance gehört der Ausgleich; Anstrengung und Entspannung, Arbeit und Ruhe geben sich die Hand.

Um Ausgleich zu finden, bedarf es der Offenheit. Röhrenblicke schränken ein, andere Blickwinkel eröffnen neue Horizonte, und Ungeahntes wird zur Bereicherung. Ein Rundumblick ist entspannender als das Spotlicht auf die Mücke, die ärgert. Schon nur deshalb sollten in der Freizeit nicht dieselben Leistungsregeln wie bei der Arbeit gelten. Wer montags müder zur Arbeit kommt, als er sie freitags verlassen hat, muss über die Bücher oder eines lesen und zur Ruhe kommen. Wer bei der Arbeit dauerhaft unzufrieden ist, wird dies auch durch die freudvollste Freizeitgestaltung nicht ausgleichen können. Auch viel Schoggimousse kann Bittermandeln nicht mildern. Die Schräglage muss dort angegangen werden, wo sie entsteht.

Das Bild, das auf unsere Augen trifft, steht auf dem Kopf. Unser Hirn hat gelernt, es zu drehen, und so meinen wir, richtig zu sehen. Unser Hirn gleicht auch andauernde Schräglagen aus. Sie werden normal, da nützt manchmal alle Distanz nichts mehr. Umso mehr sind Kolleginnen und Kollegen gefragt, die das Bild zurechtrücken. Auch das gehört zur Begegnung auf Augenhöhe: die anderen auf Schräges aufmerksam zu machen — und einander immer wieder als gleichwertige Menschen zu bestätigen.

Dieser Blog ist als Editorial erschienen in Die Marginalie, Hauszeitschrift der Stämpfli Gruppe Bern, Nr. 3/2017. http://www.staempfli.com

Über pstaempfli

Unternehmer mit besonderem Interesse für Unternehmenskultur und Unternehmens- und Verbandskommunikation. Mitinhaber von Stämpfli Gruppe Bern: Auch bei Fokus Bern zu finden:
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2 Antworten zu Von schrägen Bildern

  1. Anonymous schreibt:

    Hai A propos röhrenblick und so: war in London in der serpentinegallery in der ausstellung wade guyton. das ist super gut. Hat mir sehr gefallen. Nur schade, liegt die ausstellung nicht näher. Kaum ist man zurück, wird es schwierig die Bilder abzurufen. Lg, merci no einisch fürs bilder schleppen, th

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