Als Kolumne in der Berner Zeitung erschienen am 8. Juni 2012
«Steht auf, wenn Ihr Berner seid!», singen die Fans im Wankdorf. Doch wer sind die Berner? Sind das die hier Geborenen? Die Zugewanderten, die Vorüberziehenden? Was überhaupt ist der Kanton Bern? Was verbindet die Stadt-, Land- und Bergbevölkerung in unserem politisch festgelegten Gebiet? Welche Ziele haben wir, die von einer Mehrheit der Bevölkerung und der Parteien getragen werden und uns zu einer Willensgemeinschaft machen?
Ich bin ein Städter. Die Bergregionen kenne ich aus vielen Ferien, aus der Sicht des kurze Zeit Verweilenden, die Landregionen durch mehrwöchige Landdienste und durch die Familie meiner Frau. Meine Welt ist die des Städters, und die ist grundlegend anders als die der Land- und Bergbewohner. Genauer, ich empfinde sie anders, denn ich vermag kaum zu beschreiben, worin wir uns unterscheiden. Sind es der unterschiedliche Rhythmus, ein anderes Zeitempfinden, verschiedene Dringlichkeiten und Themen? «Wir stehen näher bei den Naturgewalten, bei Leben und Tod», meint ein Freund aus dem Saanenland. «Ihr Städter seid Rosinenpicker, wollt die heile Welt. Ihr regt euch auf, dass wir unsere Dörfer zersiedeln, im Mittelland aber macht Ihr genau dasselbe.» Wir Städter hören solches ungern und kontern, dass der Verwaltungsbezirk Bern-Mittelland der einzige Nettozahler im kantonalen Finanzausgleich ist. Und so entstehen Vorurteile und Missverständnisse. Die Berg- und Landbevölkerung wird durch die Städter nicht selten als rückständig und subventionsaffin («Die machen doch gleich die hohle Hand, wenn es etwas schwieriger wird») bezeichnet, die Städter werden von den anderen als abgehoben empfunden («Die machen eh, was sie wollen»). So geht der Schlagabtausch hin und her, und verstehen tun wir uns dadurch nicht besser. Dabei haben wir mehr gemeinsam, als wir gerne zugeben, so die uns eigene bodenständige Ruhe, die ich als nachhaltige Stärke empfinde.
Kein anderer Kanton ist so heterogen wie unsrer. Das ist Problem und Chance zugleich. Wir haben starke Wirtschaftsgebiete, reiche Landwirtschafts- und wertvolle Naturgebiete. Was sich im Grossen findet, spiegelt sich im Kleinen: Starke Unternehmen gibt es auch in den Land- und Berggebieten, intakte Naturzonen ebenso in der Agglomeration, das macht unseren Kanton lebenswert und weniger anfällig auf Rezessionen.
So weit, so gut. Wir haben auch bedeutende strukturelle Probleme, die sich in der sehr hohen Steuerlast widerspiegeln und die wir vermindern müssen: Die Heterogenität bleibt ein Problem, wenn wir sie nicht als Chance nutzen. Wollen wir diese packen, sind alle Regionen aufeinander angewiesen. Nur gemeinsam haben wir die Möglichkeit, auf dem Erreichten aufzubauen, die Wirtschaft, das soziale und kulturelle Angebot und den Lebenswert zu verbessern und die Steuerlast langfristig zu senken. Steuersenkungen ergeben dann Sinn, wenn unnötige Leistungen nicht mehr erbracht und wenn gleichzeitig die Ausfälle kompensiert werden, zum Beispiel indem mehr Menschen mit hohen Einkommen in den Kanton ziehen. Das kann nur gelingen, wenn auch im Grossen Rat endlich Schluss damit ist, die Regionen mit teilweise grotesken Klimmzügen gegeneinander auszuspielen, aus Missgunst und bedacht auf den kurzfristigen Erfolg für die eigene Klientel. Gemeinsamen Erfolg hat nur, wer gemeinsame Ziele hat, regionen- und parteiübergreifend, verbindlich, langfristig. Da sind alle Politiker in der Pflicht, und wir Bürger auch, indem wir Zusammenarbeit und Ziele bei ihnen einfordern.