Mittelmässig in die Zukunft?

Dem Kanton Bern fehlen langfristige Ziele und ein darauf abgestimmtes Handeln. So lassen sich die anstehenden Herausforderungen nicht bewältigen.

Eine reine Pflichtübung, die dem Regierungsrat zuwider ist, seien die «Richtlinien 2015−2018 der Regierungspolitik», erläuterte mir ein Politiker. Diese Richtlinien musste der Grosse Rat diese Woche zur Kenntnis nehmen. Die vorberatende Kommission war mit dem Papier unzufrieden, ihr fehlten die Visionen. Mir auch. Wenn nur so etwas wie Elan und Freude an der Regierungsarbeit spürbar wäre!

Neun Ziele für vier Jahre sind formuliert, mit viel Bekanntem, wenig Neuem und krassen Lücken. Die Ziele sind lediglich Absichtserklärungen mit vagen Massnahmen. Mir scheint, dass sich die Regierungsmitglieder geschont haben, jede und jeder durfte einbringen, was beliebte. Die ungenügende Qualität des Papiers ist allerdings nicht nur die Schuld des Regierungsrates. Dem Kanton fehlt es an langfristig gültigen Eckpunkten, entlang deren er sich in den kommenden 15 bis 20 Jahren entwickeln kann. Ein minimaler Konsens der Parteien wäre dazu nötig. Darauf angesprochen, reagieren Politiker ablehnend: Eine gemeinsame Haltung sei nicht möglich. Doch das ist falsch. Man kann aufeinander zugehen und für einmal nicht das Trennende, sondern das Verbindende suchen. Das kann gelingen, wie die letztjährigen Gespräche der Parteipräsidentinnen und -präsidenten unter der Moderation von Fokus Bern bewiesen haben. Die Parteispitzen haben ihre Skepsis überwunden und erste Ansätze einer Vision gefunden. Das sind zwar noch nicht langfristige Eckpunkte, aber ein Anfang sind sie allemal.

Umdenken ist gefragt. Politikerinnen und Politiker aus allen Parteien und Regionen müssen ihre bisherige Gangart aufgeben, in der sie ihre Klientel pflegen und dabei eigene Beschlüsse unterlaufen. Ein Beispiel dafür ist das Verhalten der Politiker bei der Umsetzung des Spitalgesetzes. Es zeigt, wie stark der kurzfristige Eigennutzen zulasten der Zukunft des Kantons im Vordergrund steht. Und der Stadt-Land-Graben wird immer wieder dazu benutzt, um zu beweisen, wie wenig die politische Gegenseite begriffen hat, was Sache ist; denn man ist überzeugt, dass präzise in der eigenen Region keine Änderungen möglich sind.

Solches Handeln gefährdet unseren Kanton – und der steht vor erheblichen Herausforderungen. Er kann sich nicht alleine finanzieren und muss sich im Rahmen des nationalen Finanzausgleichs (NFA) unterstützen lassen, ein Thema, das in den Richtlinien nur ganz am Rand erwähnt wird. Die NFA-Gelder haben ihre guten Gründe, sie gleichen unsere strukturellen Gegebenheiten aus. Doch niemand weiss, wie lange die Geberkantone in der Lage sind, über eine Milliarde Franken nach Bern zu senden. Unser Kanton hat zudem Probleme, die er nicht alleine lösen kann, so die Pendlerströme in die Nachbarkantone. Menschen arbeiten in Bern und wohnen zum Beispiel im Kanton Freiburg, da dort die Lebenshaltungskosten deutlich tiefer sind. Wie wollen die Politiker diese Herausforderungen angehen? Welches Profil will der Kanton Bern in 20 Jahren haben? Was ist sein Beitrag im eidgenössischen Rahmen? Die politisch verbindlichen Antworten dazu sind in unserem Kanton rar. Es gibt zwar Teilstrategien, wie die Wirtschaftsstrategie 2025, die sind aber aufeinander kaum abgestimmt.

Das alles ist mittelmässig und ungeeignet, unsere Lebensqualität halten zu können. Um aus dem Mittelmass herauszukommen, braucht es die Zusammenarbeit aller, die der Parteien, des Grossen Rats und des Regierungsrats – und von uns Bürgerinnen und Bürger.

Dieser Text ist als Gastkommentar am 24.01.2015 in der Berner Zeitung erschienen.

Über pstaempfli

Unternehmer mit besonderem Interesse für Unternehmenskultur und Unternehmens- und Verbandskommunikation. Mitinhaber von Stämpfli Gruppe Bern: Auch bei Fokus Bern zu finden:
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