Es braucht keine Frauenförderung. Und auch keine Quoten und Systeme, die die Gleichstellung im Unternehmen messen. Es braucht ein anderes Menschenbild als heute üblich. Es gilt, den Menschen auf gleicher Augenhöhe, als grundsätzlich gleichwertig, zu begegnen. Unternehmen, die so denken, werden sich nicht mit Fragen des Geschlechts, des Alters und der Herkunft aufhalten, sondern die bestmöglichen Mitarbeitenden anstellen und auf eine Durchmischung unterschiedlicher Charaktere und Erfahrungen achten. Der Frauenanteil wird in dem Masse steigen, in dem sich geeignete Frauen melden.
Dieses Menschenbild umfasst, Mitarbeitende als ganze Menschen und nicht nur als Arbeitskräfte zu sehen, also die Stärken, Schwächen, die private Situation und den Willen der Einzelnen in der Führungsarbeit zu integrieren. In einem solchen Gefüge werden Mütter und Väter die Organisation und Flexibilität finden, mit der sie die familiären und beruflichen Ansprüche unter einen Hut bringen können. Das verlangt aber nach zwei weiteren Voraussetzungen.
Erstens. Frauen, die ihrem Beruf nachgehen, benötigen Partner, die ihren Anteil an Hausarbeit und Kinderbetreuung übernehmen. Frauen sollten sich nicht darüber beklagen, dass nur sie in der Nacht aufstehen und den Haushalt schmeissen müssen. Die Arbeitsteilung kann man lange vor der ersten Schwangerschaft besprechen, gleichberechtigtes Haushalten kann eingefordert werden. Und viele Frauen könnten ihren Partnern mehr zutrauen.
Das Problem liegt nun darin, dass Frauen sich immer überlegen müssen, wie sich ihr Leben mit Kindern verändert und wie sie sich zu organisieren haben. Männer können sich das überlegen, müssen aber nicht. Wenn aber ein Mann auch nur für fünf Minuten die Bedürfnisse seiner Partnerin ernst nimmt, wird er sich die gemeinsame Zukunft mit Kindern nicht nur überlegen, sondern einen aktiven Beitrag zur gleichberechtigten Lebensgestaltung leisten. Gleichstellung beginnt zu Hause.
Zweitens. Unternehmen haben Ansprüche an die Einsatzfähigkeit von Mitarbeitenden. Wer eine herausfordernde Tätigkeit ausüben und sich beruflich weiterentwickeln will, tut gut daran, mindestens 60%, besser 80% zu arbeiten. Flexibilität ist unabdingbar und muss auch zu Hause aufgefangen werden können. Wer dies nicht organisieren will oder kann, muss die Ambitionen zumindest vorübergehend zurückschrauben. Andererseits: Auch Väter, gerade gut ausgebildete, verlangen zunehmend nach höherem Spielraum für Familienzeit. Unternehmen müssen mehr Teilzeitstellen zur Verfügung stellen und Heimarbeit ermöglichen. Leute, die meinen, Teilzeiter seien keine richtigen Männer, sind Exoten in einer bunten Welt.
Unternehmen haben ein fundamentales Interesse am Wohlbefinden ihrer Mitarbeitenden. Wenn diese Beruf und Privates nicht unter einen Hut kriegen, werden sie weniger leisten als die, die durch ein intaktes Privatleben gestärkt an die Arbeit kommen – und umgekehrt. Auch deshalb ermöglichen wir in der Stämpfli Gruppe seit 20 Jahren Teilzeit für Führungskräfte. Dazu braucht es ein Verständnis für ihre Lebenssituation, z.B. dass sie später zur Arbeit kommen, weil ein krankes Kind zuerst versorgt werden muss. Das hat mit Frauenförderung nichts zu tun – das ist gesunder Menschenverstand und das Anerkennen dessen, dass Mitarbeitende nur dann gut arbeiten, wenn ihr Leben gut organisiert ist.
Erschienen als Kolumne in der Berner Zeitung, 8. November 2014
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